Grußwort zum Weihnachtsfest 2022

Liebe Leser*in,

da liegt es, das Kind, auf Heu und Stroh. Maria und Josef betrachten es froh. Was sollen sie auch anderes machen. Können wir anders, als froh sein, wenn wir in die Augen eines Kindes blicken? Kinderaugen strahlen und auch die Augen des Christkindes werden strahlende Augen gewesen sein. Ja, damals noch, damals wird das Kind in der Krippe noch gestrahlt haben. Noch ahnt schließlich niemand – noch ahnen die Eltern nicht, was wenig später alles auf sie zukommen wird. Wären sie auch froh, wenn sie gewusst hätten, dass sie sich wenig später auf der Flucht befinden würden, auf der Flucht nach Ägypten? Würde das Kind auch noch strahlen, wenn es registrieren würde, dass alle es später anfeinden werden, dass man es ausliefern und am Ende gar kreuzigen wird?
Es ist kein anderer Jesus, der am Karfreitag durch die Straßen von Jerusalem geführt wird, es ist niemand anders, als das Christkind, das da auf Heu und Stroh liegt und dessen Augen strahlen.
Manchmal durchschießen mich solche Gedanken, wenn ich in die vielen glückliche Kinderaugen in unserem Stadtteil schaue. Und ich frage mich dann, auch bei den Augen der Kinder, die ich dann sehe, ob sie denn auch dann noch leuchten würden, wenn ihnen bewusst wäre, was da noch alles auf sie zukommt. Was wenn unsere Kinder ahnen würden, was noch alles kommen wird – angefangen von all den Herausforderungen und Enttäuschungen der Schulzeit, von der Ehe, die möglicherweise zerbrechen wird, von Katastrophen und Schicksalsschlägen, die sich noch kein Mensch auszumalen in der Lage ist, denken wir dabei nur an dieses Jahr zurück – Krieg in der Ukraine.
Und selbst dann, wenn ein Kind einmal nicht mehr strahlt, wenn es herzzerreißend weint, wenn es nicht mehr zu beruhigen ist – weil ein liebes Spielzeug kaputt gegangen ist, weil ein Mittagessen aufgegessen werden soll, und das Gemüse absolut nicht schmecken will, oder weil es einfach wieder einmal seinen Kopf nicht durchsetzen kann –, selbst wenn die Augen einmal nicht leuchten, sondern verheult sind und von Tränen verquollen, selbst dann frage ich mich, ob dieses Kind auch dann noch weinen würde, wenn es sich bewusst wäre, wie wenig dieses jetzige Leid wiegt im Gegensatz zu dem, was noch kommen wird.

Und ich selbst? Was, wenn ich meinen Lebensweg anschaue?
Bei manchem Besuch denke ich mir das, wenn da ein Mensch vor mir liegt, der schon seit Jahren krank ist. Oder wenn ich in eine Familie gehe, die einen Angehörigen seit Jahren pflegt. Auf was gehe ich eigentlich noch alles zu?

Liebe Leser*in, das Kind in der Krippe strahlt. Die Augen des Christkindes leuchten unbeschwert. Denn dieses Kind von Betlehem ist auch der gleiche, der am Ostermorgen alle Trübsal durchbrochen, alle Grenzen gesprengt und das Leben gewonnen hat. Vielleicht strahlen die Augen des Kindes deshalb, weil er nicht nur das Licht der Welt ist, sondern weil er in der Lage ist, das Licht hinter all dem Dunkel noch zu entdecken.
Das Christkind kündet uns auch an diesem Weihnachtsfest 2022 davon: Das Christkind auf Heu und Stroh. Deshalb haben Maria und Josef allen Grund zur Freude. Und deshalb können auch wir uns freuen.
Liebe Leser*in, wir feiern Weihnachten und wir feiern damit wieder Anfänge. Anfänge, von denen noch niemand weiß, welcher Weg von solchen Anfängen seinen Ausgang nimmt. Wir haben Grund zu feiern, weil wir das Ziel schon kennen. Egal, welchen Weg das Leben nimmt, am Ende leuchtet Ostern. Und das ist mehr als ein Grund, Weihnachten zu feiern.
So wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben – auch im Namen aller hauptamtlichen Seelsorger*innen – ein gnadenreiches Weihnachtsfest und Gottes Segen für das Neue Jahr 2023.

Ihr

U. Messing, Pfr.